Die Neumanns-Brücke zu Tauberrettersheim
Wie ein wenig beachtetes Stiefkind, schmiegt sich die Tauber an den bunten Rocksaum seiner stolzen lebensfrohen Frankenmutter. Schlicht sind die landschaftlichen Reize dieses Tales, wenig bekannt seine Baudenkmäler aus einer längst vergangenen Fürstenherrlichkeit. Und doch kann es sich rühmen, zwei der schönsten und erhabensten Kunstwerke des Frankenlandes zu besitzen: Den Riemenschneider-Altar in der Herrgottskirche zu Creglingen und die Grünewald-Madonna in Stuppach bei Mergentheim. Dazu kommt zwischen Creglingen und Mergentheim die Balthasar Neumann Brücke zu Tauberrettersheim. Wer vom hochgelegenen Bahnhof Tauberrettersheim den Blick dem fluß- und gartenumkränzten Dorf zuwendet, ist überrascht von dem lieblichen Landschaftsbild, in dem die Tauberbrücke als schönster Schmuck in die Augen springt. Es ist nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß dieses Bauwerk zu den schönsten Brückenanlagen, nicht bloß des Taubergrundes, sondern ganz Frankens gehört. In den Kunstdenkmälern Bayerns ist das Bild aufgenommen mit der Bemerkung: „Sehr hübsche, nach der Mitte zu erhöhte Anlage zu 6 Jochen. Die Brücke wirkt sehr stimmungsvoll inmitten der hügeligen Landschaft (Abb. 1).
Die Brücke verdankt ihre Entstehung einer Naturkatastrophe von geschichtlichem Ausmaß, dem gewaltigen Hochwasser des Jahres 1732. Aus einer Inschrift am Sockel des heiligen Nepomuk erfahren wir, dass am Tag Sankt Michaelis 1732 der Tauberfluß so hoch „angeloffen“ ist, daß die „wilden Wasser“ die hölzerne „Brücken“ von Grund aus weggerissen haben. Über die verderblichen Folgen dieses gewaltigen Hochwassers des ganzen Jahrhunderts geben die Berichte aus der damaligen Zeit beredten Aufschluß. Der Amtskeller zu Röttingen meldet anfangs Oktober 1732 an die fürstbischöfliche Hofkammer zu Würzburg „was großen Schaden das letzte auf Sankt Michaelis gefallene wilde Wasser daselbsten und in selbig Amtsdorfschaften mit so gewaltiger Ueberschwemmung für Schaden getan, sofort Leut und Viehe, auch mehr anderes fortgeführt habe“. Am 7. Dezember 1732 schildern die Tauberrettersheimer Bürger Balthasar Schauer, Hans und Kaspar Fries in einem Gesuch an die fürstbischöfliche Hofkammer, wie sie durch das schreckliche Hochwasser um Haus und Hof; Hab und Gut gekommen. Dem Baltasar Schauer hat „der Flut ganze Bauhölzer durch dessen hoher Herrschaft lehnbares Häuslein gestoßen, hat ihm Bak- und Stubenofen, dann Fenster und alles was darin gewest, worunt Faß, Kufen, Kleider, auch andere Effekten begriffen mit fortgenommen, item das Scheuerlein von Grund aus samt Frucht; Futter, Kalter samt alles Geschirr“. „Item des zweiten (Hans Fries) seine Scheuer samt aller darin gelegenen Frucht und Futter nebst 8 Stück Rindvieh und mehr anderes fortgeführt, auch dessen Haus durchlöchert, den Stubenbackofen, Fenster und alles andere ruiniert.“ Dem dritten (Kaspar Fries) wurde „seine erst neuerbaute Scheuer mit Winter- und Sommerfrucht, allerhand Hausgeraith, Bauer- und Häckeregeschirr mit fortgerissen, auch alles Futter vor das Vieh verdorben“.
Auf ihre „angehesste Bitte um gnädigste Beherzigung ihres erlittenen verderblichen Unheils attestieren Amtskeller und das ganze Gericht pflichtmeßig, daß dieser Vorgang sich wahrbefinde und der Schaden der 3 Supplikanten auf 120, 187 und 180 fl. geschätzt werde und daß dem ersten und letzten je 2, dem zweiten über 3 Stämmlein Holz ex gratis berwilligt werden möge“. Das fürstbischhöfliche Hofkammeramt verfügte, daß „vor denen so unglücklichen Leuten – über den Vorschlag nicht nur ein Stamm mehr, sondern auch jedem 2 Malter Korn zur Beisteuer gegeben werden soll“. Aus den Sterbematrikeln des Pfarramtes (gütigst mitgeteilt vom Pfarrer Apprich) ist zu entnehmen, daß den wilden Fluten auch 8 Menschenleben zum Opfer fielen. Der Ortspfarrer Balthasar Knörper hat diese schrecklichen Ereignisses in ausführlicher Darstellung gedacht. Die Wasser überraschten mitten in der Nacht die ahnungslosen Bewohner der längs der Tauber sich ziehenden Mühlgasse. „Die ganze Mühlengasse war in Gefahr wegen Abführung der Häuser“. Das Haus des Joh. Georg Hirt konnte dem gewaltigen Wogenandrang nicht widerstehen und wurde samt seinen Bewohnern von dem reißenden Strom hinweggeschwemmt. Die bei Hirt zu Gast weilende Witwe Anna Maria Heim überraschten die einbrechenden Wassermassen im tiefen Schlaf, und die Familie versank noch im Bett liegend, im Strudel. Joh. Georg Hirt und seine Frau Anna, die ein Kind unterm Herzen trug und bis Martini ihre Niederkunft erwartete, retteten sich auf eine 6-7 Fuß hohe Mauer. Ergreifend schildert der Ortspfarrer die Hilferufe des verzweifelt mit dem Tode ringenden Ehepaares. Mit lauter Stimme flehten die beiden zur hl. Dreifaltigkeit und riefen den Beistand des hl. Erzengels Michael an. Auf ihr heftiges Verlangen erteilte ihnen ihr Seelsorger aus 50 Schritt Entfernung die Generalabsolution. Menschliche Hilfe war trotz aller Bereitwilligkeit unmöglich. Die beiden wurden von den immer höher steigenden Fluten mit fortgerissen. Am andern Tag bestattete man die 3 Ertrunkenen unter Anteilnahme der ganzen Dorfgemeinde auf dem Ortsfriedhof zur ewigen Ruhe. Die Leiche der Witwe Heim hatten die Wasser außerhalb des Taubertores hundert Schritte diesseits der Brücke angespült. Noch heute – nach mehr als 200 Jahren – ist dieses das ganze Dorf aufs tiefste bewegende Ereignis im Munde des Volkes lebendig.
Noch waren die schlimmsten Zerstörungen des Hochwassers nicht völlig beseitigt, da wurde auch schon der Neubau der weggerissenen Brücke unter tätiger Mitwirkung aller beteiligten Stellen in Angriff genommen. Das Dorf hatte jenseits der Tauber die gute Hälfte seiner Markung, die nur über die Tauberbrücke hinweg zu erreichen war, und der fürstbischöflichen Herrschaft oblag der Land-, Weg- und Turmzoll bei der Brücke, über die wichtige Verkehrsstraße aus dem hochstiftischen (Röttingen) ins hohenlohische (Weikersheim) Gebiet führte. Den jährlichen Zoll allda gibt die Amtskellerei Röttingen mit 400 fl. an. Es stand aber zu befürchten, daß „außer (ohne) einer passablen Brucken ein Abweg zu frebmtherrschaftlichem Orte (zum hohenlohischen Dorf Schäftersheim) gesucht werden würde“. Und so fand das Brückenbau-Gesuch der Gemeinde bei der fürstl. Hofkammer volles Verständnis und bereitwillige Unterstützung. In der Sitzung der fürstl. Hofkammer vom 2. Juni 1733 „rekriert der Oberstlieutnant Neumann nach vorgenommenem Augenschein und entworfenem Riß, welcher Gestalten die zu Tbr., Amts Röttingen, als uff einer Landstraße vorig Jahre auf St. Michaeli durchs wilde Wasser völlig ruinierte Brücke anwieder von Stein in dauerhaftem Stand hergestellt werden könnte, zu welcher Erfüllung aber, ohne alle Fuhr- und Handfronen, welche „selbe Inwohner leisten wollen, bis 435 Reichtsthaler dem Anschlag erforderlich seien. Der hierüber gehörte Keller saget aus, wie die Inwohner nicht in Vermögen solche ohne merklich herrschaftlich Hülf instand zu bringen. Worüber unanimiter (einstimmig) beschlossen worden, es wäre unterthänigst einzuraten,, daß hoher Herrschaftswegen wenigstens 200 fl. fränkisch beizusteuern wären“.
Schon unterm 17. Juni 1733 erfolgte die fürstbischöfliche Genehmigung. Die Anweisung der Beisteuer von 200 fl. an die Amtskellerei Röttingen erfolgte „per decratum“ unterm 25. Juni 1733. Schon vorher hatte man mit dem Brückenbau begonnen, denn am 7. Juni 1733 berichtet Neumann an seinen fürstbischöfl. Herrn, daß er „Zeit hero zu Röttingen und Tauberrettersheim wegen allraßiger Brücke weile“. Neumann hatte sich durch Augenschein davon überzeugt, daß die neue Brücke ihren Platz, wieder an der Stelle der alten erhalten müsse. Die Brückenachse traf dann auf das damals noch mit einem stattlichen Torhaus geschmückte Taubertor, den einzigen Zugang des Dorfes zum Fluß. Auch der unmittelbare Anschluß an die links der Tauber sich hinziehende Straße nach Weikersheim *) zwang zu dieser Lösung. Der Brückenbaumeister war vor die nicht leichte Aufgabe gestellt, gleich drei Arme des Tauberflusses – zwei im großen Nordbogen vom Mühlenwehr kommend und den gleichfalls schräg zur Brückenachse einmündenden Mühlenkanal – in einer Länge von über 85 Meter zu überbrücken. Unsere Gesamt-Ansicth und die Zeichnung vom Obertrom (Abb. 2) zeigen uns Neumanns Bauwerk in seiner stattlichen, monumentalen Größe. Die nach der Mitte zu erhöhte Anlage zu 6 Jochen besitzt gute architektonische Gliederung und ist durch die keilförmig gegen den Strom vorspringenden Pfeiler, sowie durch die massive Steinbrüstung mit ihren halbrunden Ausbauten von eindrucksvoller Gesamtwirkung. Die Pfeiler der Unterstromseite sind gleich den Ausbauten der Steinbrüstung halbkreisförmig abgerundet. Besondere Sorgfalt wendete Neumann naturgemäß den Pfeilern und den Fundamenten zu. Die Jochpfeiler haben gegen den Fluß ovale Widerlager. Der Abstand der Pfeiler und damit auch die Jochweite vergrößern sich gegen die Mitte. Die beiden äußersten Durchlässe sind ca. 4 Meter, die beiden nächsten 7 Meter und die beiden inneren ca. 8 Meter weit. Doch ist der äußerste Bogen am rechten Ufer weiter und damit auch höher als jener am linken Ufer in der richtigen Erkenntnis, daß der letzte rechtsseitige Bogen in Hochwasserzeiten mit sehr starkem Wasserandrang zu rechnen habe. Als besondere, selten anzutreffende Eigentümlichkeit gilt die fächerartige Stellung der Pfeiler, die durch die schräge Einmündung der 3 Tauberarme bedingt ist (siehe Draufsicht!).
Die Enge der Brückenfahrbahn (kaum 3,5 Mtr. breit) und das Fehlen von Gehsteigen hat die Tauberrettersheimer schon öfters den Wunsch äußern lassen, man sollte die dicken Steinbrüstungen durch ein schmales eisernes Geländer ersetzen. Da aber dadurch der bauliche Charakter der Brücke in unverzeihlicher Weise geschädigt würde, kann dieser Wunsch unmöglich erfüllt werden. Auch ein zweiter Vorschlag, das letzte Brückenjoch am rechten Ufer zu vergrößern und daneben noch einen weiteren 7. Bogen anzufügen, der bei starkem Hochwasser die vorhandenen 6 Durchlässe entlasten könnte und die Stauwirkung des rechtsseitigen Brückendammes beseitigt, kann nicht erfüllt werden. Wenn allerdings Neumann die Hochwassererfahrungen des 19. Jahrhunderts bei seiner Planung zur Verfügung gestanden wären, dann hätte er wohl den heute o sehr vermißten 7. Brückenbogen in seinen Riß mitaufgenommen. Ihre Standfestigkeit hat die Brücke in den gewaltigen Hochfluten des 19. Jahrhunderts glänzend erwiesen. Wie Felsen im brandenden Meer standen die festgegründeten und wohlgefügten Pfeiler und Bogen. Mein Großvater Georg Fries hat die „großen Wasser“ von 1824, 1833 und 1845 in seiner Bibel getreulich aufgezeichnet. 1824 schreibt er: „Alle Sprach ist von den Leuten, seit der Sündflut habe es nicht mehr soviel Wasser auf der Welt gegeben. Haufenweis und ganze Kloster hoch kam es auf einmal hergeloffen, daß niemand sich retten konnte“. Und 1833 heißt es: „Das Wasser ging 6mal aus seinen Schranken über den ganzen Wiesengrund“. „Den 31. März 1845 kam ein ungeheuerlich großes Wasser und machte großen Schaden, riß auch viele Brücken weg.“
Aus meiner eigenen Jugendzeit ist mir das mächtige Hochwasser vom Jahr 1882 noch in lebendiger Erinnerung. Damals überfluteten die Wassermassen nicht nur die Brückenauffahrten an beiden Ufern, so daß das Dorf vom Straßenverkehr des Taubertales gänzlich abgeschnitten war, die Brücke staute sogar die Fluten in der Brunnengasse bis zur Goldbach hinauf. Hier standen wir Schulbuben mit unserm alten Lehrer Schön beim Haus des Lindenwebers und staunten über die unermeßliche Wasserfläche, unter der die Brücke fast ganz verschwunden war. Nur der oberste Teil mit der Statue des hl. Nepomuk ragte noch hervor. Die verwegeneren unter uns wagten sich auf hohen Stelzen in die überschwemmten Gassen, und in der Mühlengasse fuhren die waghalsigen Burschen des Dorfes auf den ausgehobenen Hof- und Scheunentoren dahin, und mancher hat dabei ein unfreiwilliges Bad genommen. An der Flügelmauer der Brücke zeugte bis in die jüngste Zeit eine Hochwassermarke von dieser Hochflut. Ein seltenes Schauspiel bot den Tauberrettersheimern der Eisgang des Jahres 1893. Da hatten sich die bis zu 50 Ztm. dicken Eisschollen oberhalb der Brücke im sog. „Waak“, einem breiten und tiefen Staubecken, zu einer mehrere Meter hohen Eisbrücke gestaut, auf der der tollkühne „Schwarzels Michel“ ans andere Ufer und wieder zurückkletterte. Eine Stunde später setzte sich die Naturbrücke mit unheimlichem Krachen und Bersten gegen die Brücke in Bewegung. Wird diese dem gewaltigen Stoß standhalten? So fragten sich mit Bangen die Dorfbewohner. Die Pfeiler erzitterten unter dem fürchterlichen Anprall. Aber das Meisterwerk Neumanns stand. Beherzte Männer empfingen auf der Brücke mit langen Stangen die riesigen Eisschollen und leiteten sie durch die Brückenjoche, hinter denen sie aus den gurgelnden Fluten wieder emporschossen. Bis in den Sommer hinein lagen die gewaltigen Eisklötze auf den Wiesen unterhalb der Brücke. Zur Zeit der napoleonischen Kriege kamen zuerst französische Truppen tauberaufwärts und später Deutsche, Oesterreicher und Russen das Taubertal herab. 1814 sollen nicht weniger als 72.000 Russen einen ganzen Tag lang die Brücke flußabwärts überschritten haben.
Mit dem Ausbau der Heeresstraße auf dem rechten Tauberufer, von Tauberrettersheim nach Schäftersheim in den Jahren 1841/42, verlor die Brücke ihre Bedeutung im Fernverkehr des Taubertales. Als 1866 die Preußen das Taubertal aufwärts zogen, eilten die Tauberrettersheimer in hellen Scharen über ihre Brücke zur Bierhalle an der neuen Heeresstraße, um die in strammer Manneszucht vorüberschreitenden preußischen Krieger zu sehen und zu bestaunen. An die Tauberbrücke knüpfen sich die schönsten Erinnerungen aus meiner Jugendzeit. Sie war unser Tummelplatz zur Sommer- wie zur Winterzeit, allerdings nicht zur Freude der Eltern, denn die Spiele allda waren nicht immer ungefährlich. Nur der galt in der verschworenen Brüderschaft der Dorfbuben als ganzer Kerl, der an und auf der Brücke seine Schneid bewiesen hatte. Zunächst war es unter der Dorfjugend eine ausgemachte Sache, daß ein richtiger Tauberbub sich nicht nur getraute, im seichteren Wasser unterhalb der Brücke nach Krebsen zu fischen, auch wenn sie ihn manchmal ganz jämmerlich zwickten, er mußte auch den Mut aufbringen, in der tiefen, reißenden Strömung oberhalb der Pfeiler unentwegten Schrittes den Fluß in seiner ganzen Breite zu durchwaten. Als richtiges Probestück jugendlicher Unerschrockenheit wurde gewertet, sich vom Pfeilervorsprung mit den Händen ins Wasser herabzulassen und den Pfeiler auf dem etwas vorstehenden schmalen und klitschigen Rand des Fundamentes zu umkreisen, ungeachtet der tiefen gefährlichen „Gumpen“, die sich in bedenklichster Nähe befanden.
Am gefährlichsten waren wohl unsere seiltänzerischen Nachtlaufübungen auf der Brüstungsmauer. Da hieß es besonders an den halbrunden Ausbauten mächtig aufpassen, daß man den „Rang“ richtig bekam. Sehr im Schwang war auch das Angeln. Zum eisernen Bestand einer richtigen Jungenhosentasche gehörte die Angelschnur mit Haken und Schwimmer. Den Wurmköder lieferte der nahe Wasen. An Haselnußgerten war kein Mangel. Und nun auf dem Absatz des Pfeilervorsprungs stehen und die Angel in den tiefen Gumpen werfen nach einem pfündigen Weißfisch oder „Berschel“ das war höchste Wonne für uns. Manchmal wurde das ruhevolle Fischeridyll jäh unterbrochen durch den Warnruf „Der Buz künt!“ Das war die hohe Polizeiobrigkeit des Dorfes, der alte gestrenge Gebhards Peter, ein gebürtiger Rheinpfälzer. Mit drohend erhobener Faust und hochgerötetem Kopf kam er aus dem Dorf im Eilschritt daher und rief mit überschnappender Stimme: „I fans eich!“ Aber unseren flinken Bubenbeinen waren die alten Knochen des Säbelgewaltigen nicht gewachsen. Und eine Viertelstunde später standen wir wieder, der verbotenen Lust frönend, auf dem Pfeilervorsprung. Daß wir auf den kleinen Inseln unterhalb der Pfeiler gerne und nicht immer erfolglos nach Gänseeiern fahndeten, soll mit Zerknirschung eingestanden werden.
Die Brücke ziert, wie allerorts im frommen Frankenland, die wohlgelungene Statue des hl. Johannes von Nepomuk (Abb. 3). Der Zahn der Zeit hat ihr schon stark zugesetzt, und deshalb ist ihre Erneuerung vom Bayer. Amt für Denkmalspflege in Aussicht genommen. Dem Brükkenheiligen fällt alljährlich noch eine besondere wertvolle Aufgabe zu. Anfangs September prangt an dem Kreuz, das dem priestermärtyrer im arme liegt, der erste reife Träubel. Mit vollen, schwarzglänzenden Beeren hängt die köstliche Rebenfrucht velockend da, von unbekannter Hand über Nacht dem hl. Mann zu treuen Händen übergeben. Sie verkündet den freudig überraschten Dorfbewohnern, aß das edelste Geeschenk der heimatlichen Berge, die Traube ihrer Reife entgegengeht und das Fest der Weinlese nicht mehr fern ist. Kein Dorfjunge und wäre er noch so beerenlüstern, würde es wagen, dem Schutzherrn der Brücke diese süße, sinnige Opergabe wegzuschnappen.
Das Standbild hat auch seine eigene bemerkenswerte Geschichte. Auf dem Sockel ist die Jahreszahl 1716 eingemeißelt als Zeichen seiner Herstellung und Aufstellung. Den Sandsteinblock dazu hatte man nach der sicheren Angabe einer alten Dorfrechnung aus dem fernen Freudenberg am Main bezogen. Das Steinbildnis war demnach schon eine Zierde der alten hölzernen Brücke und hat am Michaelistag 1732 ihren Untergang im Hochwasser miterlebt. Der Sturz in die Tiefe scheint dem Standbild wunderbarerweise keinerlei Schaden gebracht zu haben. Man hat es wohl, nachdem sich die Wasser verlaufen, im Schlamm und Geröll des Flußbettes unversehrt gefunden und auf der neuen Brücke wieder aufgestellt. Dafür zeugen zwei Ausgabeposten in der Bürgermeisterrechnung des Jahrs 1733. Es heißt da: Ein pfund, 8 Pl. für Pech, Schwefel und andere Materialien zur Statue des hl. Nepomuk wiederumb aufzurichten und zu verkütte und 4 Pfund 15 Pf.dem Bildhauer zu Ochsenfurt „vor einer Schrift an das Basement (Potament), worauf der Nepomuceni steht zu bauen auf der Brucken“. Diese Schrift gibt der Nachwelt Kunde von dem schon oben erwähnten Einsturz der Brücke im Jahre 1732 und fügt den frommen Segensspruch an: „Gott wolle alle gnädlich bewahren, die über diese Brücken gehen, reiten oder fahren“.